Fakultät für Maschinenbau und Sicherheitstechnik

Das Forschungsprojekt im Überblick

Entwicklung eines Sozialkapital-Radars für den sozialraumorientierten Bevölkerungsschutz (Sokapi-R)

Die Erfahrungen großflächiger Krisenereignisse zeigen, dass sich die Unterstützungsbereitschaft der Bevölkerung vorrangig im sozialen Nahraum der Nachbarschaft formiert. Zugleich zeichnet sich seit geraumer Zeit ein Trend zur Digitalisierung der Nachbarschaft ab, der sich darin äußert, dass immer mehr Menschen neben klassischen Partizipationsangeboten auf digitale Beteiligungsformen zurückgreifen. In Krisen und Katastrophen bilden soziale Netzwerke und spontan gegründete digitale Nachbarschaftsplattformen eine zeitgemäße Möglichkeit, die Kommunikation und Organisation nachbarschaftlicher Hilfeangebote zu unterstützen.

Nachbarschaftshilfe in Krisen und Katastrophenlagen hat viele Facetten, die in der Forschung im Bevölkerungsschutz mit dem Konzept community resilience belegt werden. Studien zu den sozialräumlichen Bedingungen wechselseitiger Unterstützungserwartungen und -leistungen legen nah, dass deren konkrete Ausprägungen wesentlich davon abhängen, wie der gesellschaftliche Zusammenhalt im Wohnumfeld der Bürger*innen wahrgenommen und eingeschätzt wird. Als eine zentrale Voraussetzung der Anpassungsfähigkeit sozialer Gemeinschaften in Krisen und Katastrohen ist das soziale Kapital von Wohngebieten jedoch insbesondere in urbanen Räumen höchst ungleich verteilt. Die sozialen Strukturen von Wohnquartieren bilden insofern einen robusten Prädiktor für den kleinräumigen Grad des sozialen Kapitals. Im Bevölkerungsschutz setzt sich daher zunehmend eine Sozialraumorientierung durch, welche die lokalen Bedarfe und Kapazitäten der Bürger*innen durch eine Kombination aus zivilgesellschaftlicher Partizipation und Vernetzung aufnimmt und zur Grundlage der lokalen Bewältigung großflächiger Krisenereignisse macht.

Das Ziel von Sokapi-R ist die Entwicklung eines Sozialkapital-Radars, mit dem sich die soziale Unterstützungsbereitschaft in verschiedenen Krisen und Katastrophenlagen kleinräumig identifizieren und nachvollziehen lässt. Am Beispiel der Stadt Wuppertal wird dabei zunächst der Zusammenhang von sozialen Strukturen und lokalem Sozialkapital operationalisiert und im Rahmen einer quantitativen, mehrsprachig umgesetzten Bevölkerungsbefragung empirisch validiert. Die statistische Analyse kleinräumiger Kontexteffekte des Wohnumfelds auf die Unterstützungserwartungen und -leistungen der befragten Bürger*innen bildet den Ausgangspunkt für Erkenntnisse zum Bevölkerungsverhalten in Krisen, die anschließend auf gesamtstädtischer Ebene aggregiert werden. Zusammen mit den verfügbaren kleinräumigen Sozialdaten der Stadt Wuppertal wird auf dieser Grundlage ein GIS-basiertes Dashboard zum Bevölkerungsverhalten entwickelt, das es den kommunalen Behörden und Akteuren des Bevölkerungsschutzes vor Ort ermöglichen soll, spezifische Wohnquartiere zu identifizieren, in denen aufgrund erwartet schwächerer Anpassungsprozesse eine stärkere Sozialraumorientierung noch vor Eintreten einer Krise sinnvoll erscheint. In der Krise kann so auf belastbare Netzwerkverbindungen mit anderen lokalen Akteuren zurückgegriffen werden, die ein rasches Erkennen ehrenamtlicher Nachbarschaftsangebote und besonders vulnerabler Bevölkerungsgruppen in einzelnen Stadtgebieten begünstigen.

In einem erfahrungsbasierten Austausch mit Entscheidungstragenden weiterer Kommunen werden die in Wuppertal ermittelten Zusammenhänge in ein integriertes Konzept übertragen, das den Leitfaden zur Risikoanalyse im Bevölkerungsschutz um eine breitenwirksame Methode zur Analyse sozialer Bewältigungskapazitäten ergänzt. Damit wird mit Sokapi-R ein sozialwissenschaftlich fundierter und zugleich praxisbezogener Weg zu einem sozialraumorientierten Bevölkerungsschutz aufgezeigt, der das Wissen um die Resilienz der Bevölkerung zum Ausgangspunkt eines effektiven staatlichen Krisenmanagements macht.

Tackenberg, Bo / Lukas, Tim (2022): Community Resilience in Krisen und Katastrophen. Entwicklung eines Sozialkapital-Radars für den sozialraumorientierten Bevölkerungsschutz. In: Transforming Cities, 2, S. 62-67.

Tackenberg, Bo / Lukas, Tim / Fiedrich, Frank (2022): Community Resilience in Krisen und Katastrophen. Nachbarschaftliches Sozialkapital als Bewältigungsressource. In: Voßschmidt, Stefan / Karsten, Andreas (Hrsg.), Resilienz und Pandemie. Stuttgart: Kohlhammer, S. 121-129.

Lukas, Tim / Tackenberg, Bo (2022): Buchbesprechung zu Max, Matthias & Schulze, Matthias, Hilfeleistungssysteme der Zukunft. Analysen des Deutschen Roten Kreuzes zur Aufrechterhaltung von Alltagssystemen für die Krisenbewältigung. In: socialnet.

Lukas, Tim / Tackenberg, Bo / Kretschmer, Saskia (2021): Resilienz im Stadtquartier. Welchen Beitrag leistet der wahrgenommene soziale Zusammenhalt zur nachbarschaftlichen Unterstützungsbereitschaft in Krisen? In: Lange, Hans-Jürgen / Kromberg, Christian / Rau, Anna (Hrsg.), Urbane Sicherheit. Migration und der Wandel kommunaler Sicherheitspolitik. Wiesbaden: Springer VS, S. 35-57.

Weitere Informationen

Projekt-Website

Projektprospekt

Laufzeit

08/2021 – 07/2024

Kontakt

Prof. Dr.-Ing. Frank Fiedrich

Dr. Tim Lukas

Dr. Bo Tackenberg

Förderung

Das Projekt wird gefördert und begleitet durch das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) im Rahmen der Bekanntmachung "Kurz- und mittelfristige soziale Anpassungsprozesse der Bevölkerung in unterschiedlichen Zivil- und Katastrophenschutzlagen" (02/2020).

Weitere Infos über #UniWuppertal: